Bericht: Bettina Cremer
ERU equine rezidivierende Uveitis
Im Dezember 2008 erkrankte mein kleiner, damals 2-jähriger Friesenhengst Tomke an ERU, landläufig auch als „periodische Augenentzündung“ oder „Mondblindheit“ bezeichnet.
Ich ging morgens in den Stall um die Pferde wie jeden Tag auf die Weiden zu bringen. Als ich mit Tomke am Halfter über den Hof ging, fiel mir sofort eine massive, milchig-graue Eintrübung seines linken Auges auf. Am Abend zuvor war das Auge noch vollkommen unauffällig gewesen.
Ich hatte bis dato noch nie selbst ein Pferd mit ERU gehabt, aber in über 30 Jahren Pferdeerfahrung schon von einigen Fällen gehört. Mir war beim Anblick von Tomkes Auge jedoch umgehend klar, daß dieses hier auch der Fall sein könne, und daß auf jeden Fall eine ernsthafte Problematik vorlag. Ich versuchte unseren hiesigen Tierarzt zu erreichen, dieser war noch für mehrere Stunden bei Notfällen eingeplant und seine Mitarbeiterin riet uns, wenn es so schlimm sei, auch in Anbetracht des Wochenendes (es war ein Freitag) lieber in die Klinik zu fahren.
So rief ich in der Klinik an, und sollte Tomke umgehend bringen, man würde ihn auch ohne Termin als Notfall aufnehmen.
Die Fahrt verlief problemlos und Tomke wurde vom diensthabenden Tierarzt in Empfang genommen und untersucht. Seine ersten Worte als er das Auge näher untersuchte waren „ach Du Schei**“, Spätestens da wusste ich dass es keine übertriebene Hysterie war sofort in die Klinik zu fahren.
Tomke hatte eine schwere Uveitis (Entzündung des Augeninneren), das Auge war massiv eingetrübt, die Pupille verkrampft, und er bekam hochdosiert Cortison, Antibiotika, Atropin und Schmerzmittel verabreicht. Ich bekam Medikamente und Salben mit, und durfte ihn wieder mit nach Hause nehmen. Ich musste die ersten Tage mehrfach täglich bis stündlich salben, auch nachts. Tomke sollte in engmaschigen Abständen zur Kontrolle in der Klinik vorgestellt werden. Der Weg zur Klinik ist von uns aus glücklicherweise nicht weit und so fuhr ich alle paar Tage mit ihm hin, um den Verlauf der Erkrankung kontrollieren zu lassen. Die Entzündung heilte problemlos und recht zügig aus, nach 14 Tagen war kaum noch etwas zu sehen, ich sollten noch eine Zeitlang die Medikamente weiter geben und dann reduzieren um sie schliesslich nach weiteren zwei bis drei Wochen komplett abzusetzen.
Ich fragte dann den Arzt ob bei Tomke davon auszugehen sei, dass er die periodische, sprich wiederkehrende Augenentzündung habe. Der Arzt sagte daß alle Befunde dafür sprächen, aber letztendlich müsse man abwarten ob die Entzündung wiederkehre. Davon sei auszugehen, eine Prognose könne man aber nicht abgeben. Es gibt Pferde, die bekommen das ein- oder zweimal im Leben, einige alle paar Jahre, und leider gibt es auch Pferde die das öfter bekommen. Es gibt auch Pferde die unbemerkte Entzündungen im hinteren Bereich der Augen durchmachen die man als Besitzer nicht bemerkt und es gibt auch Pferde die innerhalb eines einzigen Schubes komplett innerhalb kurzer Zeit erblinden.
(Die Bemerkung dass es Pferde gibt die unbemerkt im hinteren Augenabschnitt Entzündungen durchmachen, brachte mich zum Nachdenken, Tomke hatte bereits im Herbst vor der ersten schweren Entzündung einmal sehr kurzfristig ein merkwürdiges Verhalten gezeigt. Er zeigte einen Abend eine leichte Lichtempfindlichkeit des linken Auges . Ich hatte ihn damals von der Weide geholt und er reagierte empfindlich auf das Licht im Stall und kniff das linke Auge zu. Damals habe ich nichts weiter am Auge gesehen, keine Tränenbildung, keine Trübung, keine Rötung. Nur für einen Abend diese Lichtempfindlichkeit. Heute weiss ich, dass das vermutlich schon der erste Entzündungsschub war, wenn nicht wenigstens der erste, den man überhaupt hätte bemerken können. Ob bereits vorher unbemerkte Entzündungen abgelaufen sind, ist demzufolge unklar)
Tomke erholte sich aber erst einmal schnell, war fröhlich und munter, und ich setzte die Medikamente wie vereinbart langsam ab. So verlief der Jahreswechsel unproblematisch.
Das Jahr 2009
Nach den Absetzen der Medikamente ging es Tomke 10 Tage gut. An Tag 11 ging ich morgens wie immer in den Stall und Tomkes Auge war wieder eine milchig-graue, trübe Masse. Wieder von jetzt auf gleich, wieder über Nacht. Ich rief in der Klinik an und man sagte ich solle Tomke sofort bringen. Das Auge war wieder genauso schlimm entzündet und man riet mir dazu, ihn diesmal eine Woche in der Klinik zu lassen. Dort wollte man ihn engmaschiger unter Beobachtung halten.
Zum ersten Mal wurde der Begriff „Operation“ erwähnt, man empfahl mir, mich mit der Methode der Vitrektomie vertraut zu machen, und bekam ausführliche Informationen darüber mit, und ich wurde vom Arzt über diese Methode aufgeklärt und informiert, da man bei Tomke fürchtete, dass die Krankheit nicht problemlos über Jahre Ruhe geben würde sondern unter Umständen schnell weiter fortschreiten könnte.
Bei der Vitrektomie wird in Vollnarkose das Kammerwasser des erkrankten Auges gegen eine sterile Flüssigkeit ausgetauscht. Somit kann man das immunologische Gedächtnis im Auge löschen und die Erkrankung zu einem sehr hohen Prozentsatz dauerhaft zum Stillstand bringen. Die Erfolgsquote liegt bei über 90%, jedoch sollte sie von einem erfahrenen Arzt durchgeführt werden.
Leider sind auch Komplikationen möglich, und es sollte möglichst in einem frühen Stadium operiert werden, da jeder Schub das Auge irreparabel schädigt und die ERU langfristig nahezu immer zur Erblindung führt. Eine der gefürchteten wenn auch seltenen Komplikationen ist z. B. eine Netzhautablösung.
Nach einer Woche Klinikaufenthalt durfte Tomke erst mal wieder nach Hause, aber er sollte für weitere 4 Wochen Medikamente bekommen, da man fürchtete ihn nicht mehr ohne Medikamente entzündungsfrei bis zur OP zu halten.
Im März brachte ich ihn dann in die Klinik. Die Operation verlief problemlos, ebenso die Vollnarkose. Nach der OP durfte ich den kleinen Mann besuchen, er war noch müde aber es ging ihm gut und man konnte am Auge nicht viel sehen, alles sah normal aus. Der Professor sagte mir dass man während der Operation schon erkennen konnte dass das Auge durch die Entzündungen geschädigt war. Die Operation sei ansonsten aber gut verlaufen, zur Sicherheit sollte Tomke aber einige Tage länger zur Nachsorge bleiben, dem stimmte ich selbstverständlich zu.
10 Tage später holte ich Tomke ab. Ich sollte ihn nach 4 Wochen noch einmal zur Kontrolle bringen, wenn wir die 4 Wochen überstanden hätten sei die kritischste Zeit vorbei.
Es verlief alles problemlos. Am 21. 4. wäre der letzte Kontrolltermin gewesen, nach Ablauf der besagten vier Wochen. Einen Tag vorher kam ich nachmittags von der Arbeit, Tomke war wie immer draussen im Paddock. Willi, ein guter Freund von mir, kam an diesem Nachmittag, zu Besuch und ging auch wie immer eben zu den Pferden. Dann bat er mich mal nach Tomke zu schauen, mit Tomke würde etwas nicht stimmen, er halte den Kopf schräg, als wenn etwas mit dem Auge nicht stimmen würde. Er sagte: „Du, Tina, der sieht da nichts mehr“.